Presse Archiv : Süddeutsche Zeitung, 3. 5. 2001


Nächte der verlorenen Musik im Lenbachhaus:
Das Klangmuseum von DJ Kalle Laar feiert Fünfjähriges

Der Museumswärter gähnt. Auge in Auge mit der Büste des grimmig blickenden Franz von Lenbach sitzt der Uniformierte in Duldungsstarre auf einem Stuhl im Vorraum des Cafés im Lenbachhaus und passt auf, dass nichts wegkommt. Die Kunstwerke, um die es hier geht, sind sowieso schwer zu klauen: Klänge.

Seit fünf Jahren drängen sich jeden letzten Donnerstag im Monat kommerzfeindliche Musenanhänger in die Städtische Galerie, um "Nächte der verlorenen Musik" im “Temporären Klangmuseum” des DJs und Musikers Kalle Laar zu feiern. Der rettet mit Leidenschaft Geräusche vor dem Aussterben. Gemeinsam mit seiner Partnerin Barbara Holzherr lässt er Melodien aus aller Welt hörbar werden, die dem Normalohr unbekannt sind.

5000 seltene Platten hat Vinyljunkie Laar zusammengetragen. Darunter Gesänge heimischer Heuschrecken, Sounds aus Erotikshops und aus Toiletten internationaler Flughäfen, Warnsignale der DDR-Zivilverteidigung, Hypnosegeraune für Rauchentwöhner, Lungenrasseln und sibirische Traditionsmusik. Normalerweise folgen die Partys Themen, heissen zum Beispiel “Exotica Nacht, Insel Nacht, Sport und Musik, Electronic Lounge oder Space is the Place”. In der Jubiläumsnacht spielt Laar ein Best Of. Dazu projiziert er Plattencover und Filme an die Wände.

Das Hör-Fest ähnelt wie immer einer Vernissage. Die intellektuellen Gäste sind eher Plaudertaschen als Tänzbären, nippen gesprächig an Bier und Prosecco, grabbeln in Laars Plattenkiste und zeigen sich ungläubig staunend die Raritäten, die sie aus dem Fundus kramen. Ich will nur nicht in zwei Fallen tappen, sagt Laar Sentimentalität und Skurilität.
Dass die Veranstaltung seit fünf Jahren gut läuft erklärt Laar mit der Sehnsucht der Musikliebhaber Töne zu hören, die es eigentlich nicht mehr gibt. Er sagt: Es sind Klänge die würde man nie finden, weil man in einem Plattenladen gar mehr artikulieren könnte was man sucht. Eine Zeitlang, sagt Laar, sei sein Klangmuseum der Szenerenner gewesen, jetzt komme eher ein Publikum das wirklich zuhören wolle und das findet er in Ordnung. Zum Jubiläum ist eine CD erschienen, die können sich Laar-Lauscher mit nach Hause nehmen, ganz unauffällig am dösenden Museumswärter vorbei.
Jochen Temsch

Ob Hypnosegeraune oder Alarmsignal: Mit Leidenschaft rettet DJ Kalle Laar Geräusche vor dem Aussterben.
Foto: Florian Rath